Der Maler Hanspeter Bethke

Zum 70. Geburtstag meines ersten Lehrers.

Ausstellung Oktober 2005

Einführende Worte: Paul Böckelmann


Halle, Lange Straße 19, zweiter Stock. Rechte Wohnung. Der bärtige Mann öffnet eine Truhe und kramt schreibblattgroße, bunt bemalte Pappen hervor. Solche hingen auch an den Wänden, kleine bunte Bilder. Stillleben, Landschaften.


Das sollte der Dom von Halle sein, das die Marktkirche, das eine Saalelandschaft bei Rothenburg. Das die rote Gartenlaube im Eierweg. Die Bilder glühten in, mir ungewohnter Farbigkeit. Die graue Imprimitur der Malflächen war von zinnober-, krapplack-, karminroten, von chromoxydfeurigen, kadmiumgelben und kobaltblauen linsengroßen Farbschlieren überzogen. Aus dem Gewirr kontrastreicher, leuchtender, aufschreiender Farben formten sich die Motive. Peter kramte ein Bild nach dem anderen aus einer großen Truhe hervor und ich konnte mich nicht satt sehen an immer neuen Farbkombinationen; Rosa stand gegen, durch Titanweiß aufgehellte Böhmische Grüne Erde, Königs Blau strahlte gegen saftgrüne Schatten, Elfenbeinschwarz sperrte sich gegen Indisches Gelb.


So rein und klar wie sich die Farben auf den Bildern zusammenwuselten, durch die graue Fassung der Untermalung sich Flächen organisierten, Kontraste Licht in die Motive lockte, Harmonie aus gegensätzlichen Farbwerten erwuchs, so, stellte ich mir vor, so muss ich Sehen erlernen, wenn ich sehen will.


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde, so erlebte ich als zwanzigjähriger Bethkes Bilder. Vergessen sie dabei nicht, was uns Abiturienten des Jahrganges 1971 vermittelt wurde. Sittes Arbeitshelden - Leunas Proletarier, Womackas Paar am Strand waren die besprochenen Leitbilder des sozialistischen Realismus, Klee und Kandinsky als Meister des Dessauer Bauhauses in bildlosen Artikeln im fünfbändigen, 1971 erschienenen Lexikon der Kunst als spätbürgerliche Erscheinungen geduldet. Nicht konkreter beschreiben muss ich sicher die vielen Pionier-, Aufbau- oder proletarischen Klassenkampf mimenden Bildchen, welche die richtige Kunst sein sollten.


Ich, in Dessau, der Provinzstadt mit klassizistischem Sahnehäubchen und zu der Zeit noch verwahrlostem Bauhausgebäude aufgewachsen, bewunderte den aus der Bilderkiste quellenden Segen der so anderen Bilder. Und auch verstand es Bethke mittels solcher markigen Worte wie, Kunst ist, wenn du drei Zaunslatten so in die Wiese rammst, dass die Leute davor stehen bleiben und die Botschaft lesen wollen, mich zu begeistern. Bethke wurde ein Freund, unbenommen der 17 Jahre Altersunterschied.


Bis 1983 dauerte diese kreative Freundschaft zwischen Bethke, K.H.Z. genannt Kalle und mir an. Ich, als der jüngste der Drei lernte durch das gemeinsame Arbeiten, malen und leben mehr als ich meinem Herkommen nach hätte ahnen können. Auch unterstützten mich die beiden während meines Studiums letztendlich auch noch mit materiellen Zuschüssen.


Ende der siebziger Jahre schien sich ein Lebensmodell herauszubilden, welches neue, offenere Beziehungen ermöglichen sollte. Die Idee Altenau, Alter Pfarrhof, der Kauf dieses Grundstücks war äußeres Zeichen dafür. Hier sollte eine Basis gemeinsamen künstlerischen Lebens entstehen, jenseits eingeschliffener, vorgeschriebener Wege. Doch zu unterschiedlich hatten sich die Vorstellungen davon entwickelt und es kam zwischen uns zum Bruch und jahrelanger giftiger Dissonanz.


In Altenau selbst realisierte sich durch die glückliche Verbindung mit ERNA, scheinbar unterm traditionellen Mantel der Ehe, einiges von dem was uns drei damals bewegt hat.


Nun kann man über vertane Gelegenheiten, Chancen und unerfüllte Träume klagen, Scheitern bemitleiden, aber gerade ERNA war von der Idee getrieben, beseelt zu sagen wäre nicht falsch, trotz der Distanzen, trotz alledem, ihm unseren Dank in Form einer Ausstellung zum 70-igsten von Hanspeter Bethke für viele positive Anregungen früherer Jahre zu zeigen.


Und nun hoffe ich, dass Herbert Schirmers Laudatio ihnen Bethkes Bildertruhe heute ebenso aufzuschließen vermag, wie mir vor fast 35 Jahren.


Danke



Rede von Herbert Schirmer, gehalten am 15.10.2005

In Hanspeter Bethke scheint ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber der Rolle der Kunst in der Gesellschaft zu sitzen, mehr noch ein Unbehagen am Erfolg des Künstlers. Bethke ist, das glaube ich so ungeschützt in den Raum stellen zu dürfen, kein Gesellschaftsmensch, was dazu beigetragen haben mag, auf den verschiedensten Jahrmärkten der Eitelkeit höchstens einen Fuß auf den Boden bekommen zu haben. - Reicht Skepsis gegenüber realen Erscheinungen, reicht der Mut, gegen feststehende Vorstellungen wieder und wieder anzumalen? Reicht das Spiel mit Wahrnehmungsformen, das Experimentieren im nicht angepassten gesellschaftlichen Randbereich? Hat nicht die Befürchtung - Kunst zu machen, könnte allein nicht ausreichen - ihn immer wieder von Zweifeln durchsetzt, skeptische Ausflüge ins Innerste des eigenen Wesens unternehmen lassen? Ist all dies zusammengenommen das, was man gemeinhin treffliche Voraussetzung für den lobeswilligen Festredner hält? Für den Laudator stehen die disparaten Bilder der Frühzeit, in denen sowohl Suche und Experiment, als auch zweifelnde Rückversicherung und Anleihen in der Kunstgeschichte zusammentreffen, im Spannungsfeld kulturpolitischer Indoktrination.


Vor dem Hintergrund des Verdikts vom Sozialistischen Realismus, der, wie Werner Haftmann es einmal treffend formulierte, nichts anderes war, als angewandte Kunst zur feierlichen Dekoration eines politischen Fehlentwurfes, war es schwierig, seinen Vorstellungen vom Künstlerdasein zu folgen. Wer sich in den 1950er Jahren zum Lager der so genannten Formalisten bekannte, nahm Ausschluss vom Kunstbetrieb und Repressalien in Kauf. Während nun die einen erfolglos am neuen Menschenbild laborieren, setzt Bethke stattdessen auf Freiheit der persönlichen Entscheidung und geistige Unabhängigkeit. Er bezweifelt das erhoffte Figureninventar, mit dem die Welt auf den positiven Menschen eingegrenzt werden soll. Um sich unabhängig von der angewandten Polit-Kunst zurechtzufinden, sucht er weiterhin nach unangepasstem Ausdruck, nach elementaren gestalterischen Kräften. Wie zum Beweis hebt sich die kleine Stadtlandschaft aus dem Jahre 1955 ab, in der eine asketische Strenge herrscht und die an die Stadtbilder von Werner Heldt oder Ernst Schröder erinnert. Dieser im zweiten Studienjahr an der Burg Giebichenstein entstandenen Arbeit ist anzusehen, wie stark die Lokalfarben noch der Beschreibung des Gegenstandes verpflichtet sind, zugleich aber nach Freiheit und Eigenständigkeit verlangen.


Ordnet sich in diesem und anderen frühen Werken die Farbe zunächst der Zeichnung unter, so organisiert sie sich wenig später, in freien und expressiven Farbklängen. 1961 gehört Hanspeter Bethke zu den unter 326 Bewerbern ausgewählten 71 Teilnehmern der Ausstellung "Junge Künstler", die von Fritz Cremer, sehr zum Leidwesen der Funktionäre und fern des Bitterfelder Weges, in der Akademie der Künste in Berlin für Aufsehen sorgt. Es kann hier nur vermutet werden, wie sich die Folgen der staatlich sanktionierten Diskreditierung auf die jungen Künstler auswirkten. Betrachtet man die von expressiver Unruhe durchdrungenen Bilder der Frühzeit, die Suche und Experiment, aber auch zweifelnde Rückversicherung in ihrer lebendigen Skizzenhaftigkeit vereinen, und im Kern bereits grundlegende formale Elemente späterer Arbeiten enthalten, so muss man dies im Falle Bethke eigentlich verneinen. Seine Handschrift wird zusehend nervöser, die Niederschrift mit dem Pinsel unmittelbarer. Schließlich erscheint die Malerei als Ergebnis des sehenden Erlebens von Natur, wobei Lyrismus und Dramatik der Farbe eins werden im Bestreben, das innere Gleichgewicht herzustellen und eine eher a-literarische Haltung zu manifestieren. Hierbei verdrängt die reine Farbpoesie den Anschein von Topografie, Genauigkeit wird durch Phantasie in malerischer Form ersetzt, was sich bis weit in die 1970er Jahre fortschreibt.


In den 1980er Jahren entstehen, gewissermaßen als Gegenentwurf zu den farbintensiven Bildern, jene zum Monochromen tendierenden Landschaften, bei denen ein Hauch der Unwirklichkeit über allem schwebt; nichts erscheint fest umrissen, die vagen Formen entstehen im Wechsel von pastosem und flächigem Pinselauftrag. Jedes Bild wird von schemenhafter Andeutung und in zarten Harmonien, von in sich abgestuften Weißtönen mit grauen, blauen oder ockerfarbenen Abmischungen bestimmt. Und da die Genauigkeit der Darstellung hinter der Genauigkeit des Ausdrucks gleichsam verschwindet, erscheint eine verwunschene Nebelwelt, in der einige farbige Flächen und Flecken genügen, um aus blassen Farbfeldern und milchigen Tönen geheimnisvolle Landschaften entstehen zu lassen, in denen sich der eigentliche Gegenstand auf malerische Weise verflüchtigt.


Als ob mit dem Zusammenbruch der DDR ein Zeitalter ganz und gar veränderter Semantik hereingebrochen wäre, in dem Verunsicherungen und Berechenbarkeiten neue Allianzen eingehen, tauscht Bethke die Leinwand oder die Hartfaserplatte gegen Millimeterpapier oder Monatsblätter aus Firmenkalendern. Er bringt so etwas wie undisziplinierte Diagramme zu Papier, die aus ganz anderen Triebkräften erwachsen, als uns die kleinlich-akkuraten Millimeterstrukturen oder das strenge Kalendarium weismachen wollen. Wie bei Illustrationen zu Erzählungen, die erst noch zu schreiben sind, formt er mit lockerer Pinselführung das Malerische der Dargestellten zu Tage. Weder aufgesetzte Psychologie, noch überdeutliche Physiognomie prägen die Gestalten, die rein aus den Farben und der Bethke´schen Handschrift zu ihrer Individualität gelangen.


Wie eingangs erwähnt, stellt Hanspeter Bethke schon frühzeitig die tatsächlichen materiellen Erscheinungsformen unseres Alltags in Zweifel. Zum Bild wird dieser Anspruch heute am ehesten in den Sinnzeichen, die aus einer Mischung von amorphen und zivilisationsgeschichtlichen Zeichen und Signalen daherkommen. Auf geometrische Grundformen oder deren Auswucherungen reduziert, mit archaischen Kürzeln aufgeladen, breiten sie sich wie Kultbilder aus versunkenen Welten aus. Die Einzelformen bewegen sich, amöbenhaft und vegetativ anmutend, in einer bewegten Struktur lose organisierten Formen, gesteuert durch kontrastreiche und harte Farbwerte, die keinerlei Assoziationen zu unserer realen Welt zu lassen. Diese in sich labyrinthartigen Gebilde, laden fern jeder Eindeutigkeit zu Reisen in eine Vergangenheit ein, in der längst verschüttet Geglaubtes aus dem Unterbewussten hervortritt und uns, wie könnte es auch anders sein, provoziert und verunsichert.


Meine Damen und Herren, landläufig herrscht die Auffassung vor, dass man im Alter weise wird, auch weil man u. a. von den Idealen seiner Jugend abrückt. Hanspeter Bethke zählt nun seit kurzem siebzig Jahre und ins Verhältnis zu der gerade formulierten Feststellung gesetzt, will mir beides nicht so recht behagen. Wie sonst hätte er auf so eine ausgefallene Idee, auf ein so ungewöhnliches Projekt, wie man heute sagt, kommen können? Ausgerechnet die Dessous von Lenchen Demuth, von der jeder geschulte Marxist wissen sollte, dass Lenchen die Aufwartefrau im Marxschen Haushalt war, also just deren Unterwäsche in den Rang der künstlerischen Darstellung zu erheben. Handelt es sich hier um einen Ausbruch verspäteter Schadenfreude, um Zeugnisse einer Bewusstseinstrübung unseres großen Karl, oder macht sich hier der nicht ganz so große Hanspeter Bethke über Pseudoreligiosität im Hause Marx lustig. Eine Antwort auf diese Fragen kann und will ich nicht geben. Nur soviel sei noch angemerkt, lieber Hanspeter, mach nur weiter so, wir werden schon noch sehen, wohin das führt.


Lieberose, 2005-10-15

Herbert Schirmer

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