Steffen Fischer

9.Mai 2010, 15:00 Uhr

(Ausstellungsdauer bis 1. August 2010)

"Zeichnungen"

Steffen Fischer

Aus einem Essay des Dresdner Schriftstellers Gregor Kunz über den Maler und Zeichner:


Steffen Fischer denkt in seinen Bildern, die Menschenbilder sind von Anfang an. Ihr Anstoß kommt von außen, aus der Beobachtung von Physis und Psyche, Begehren und Angst - individuell wie kollektiv - aus dem Mit- und Gegeneinander in den gesellschaftlichen Prozessen. Über Beobachtung, Reflektion und Arbeitsprozess entstehen Figuren, die sind und bedeuten, wächst eine figürliche Bildnerei der komplexen Situationen und Verhältnisse.


Zentrales Thema sind Männer und Frauen in Kontakten, in Umarmung und Umklammerung, in der Liebe oder mit ihren Surrogaten beschäftigt, aus ihr herausgefallen; Sexualität, Affekte, Triebe und ihre Domestikation, Anziehung und Abstoßung, die Inszenierungen des Sexual-Theaters stellen einen vitalen Kern, arbeiten untergründig wohl in allem. Die Hölle, sagt Fischer, das heißt doch labyrinthische Einsamkeit. Bis weit in die 90er dominierten Paare das Bild, seither überwiegen männliche Einzelfigur und Gruppe, dreht sich vieles um das männliche Prinzip, männliches Tun, Handeln, Verzweiflung, Engagement... Um die Hälften des Paars, wenn man so will, seine Spaltung.............


In der Zeichnung lässt er es fließen, reagieren Farbflecken mit der Linie und der Schwerkraft, das Assoziativ-Informelle mit dem Konkreten, der Zufall mit der Erzählung. Ich lasse den Mitteln ihren Willen und reagiere, sagt er. Unterbrechungen sollte es nicht geben, die Zeichnung muss leicht und flüssig bleiben und ohne Korrektur auskommen. Das kalkuliert Zufällige in Geste und Schwung bringt Unbekanntes ans Licht einen Überschuss, überraschende Lösungen, die Fragen einfordern...........


"Die Mittel müssen dienen und das Narrative, die Nacherzählung muss lesbar bleiben. Ich bin Umformer", sagt der Künstler, "nicht Schöpfer." Ein Anspruch galt immer und gilt weiter: „Wichtige Kriterien in der Malerei sind für mich dann erfüllt, wenn das erzählend Gezeigte in der malerischen Stofflichkeit (Farbe, Raum, Licht, Plastizität) wie selbstverständlich aufgehoben erscheint“..........


Fischers bildnerisches Denken bedient sich der Mythologie, uralter Mythen und neuer Legenden. In den letzten acht Jahren waren das vor allem Herakles-Stoff und die Ereignisse und Hintergründe des 11. September 2001. Wobei bedient den Sachverhalt nicht trifft, es ist eher eine Näherung in Verwandtschaft........... 


Steffen Fischer ist Jahrgang 1954 und stammt aus Dohna, hat von 1977 bis 1982 an der Dresdner Kunsthochschule studiert und arbeitet seit 1983 freischaffend in und bei Dresden.


Paul Böckelmann im März 2010


Eine Laudatio, nicht feierlich aber anerkennend gehalten, für Steffen Fischer, mit dem E.R.N.A.
und ich die Studienjahre in Dresden verbrachten und in dem wir heute jenen, nun gereiften, nicht gealterten Menschen erkennen, der seine Begabung durch die Zeit gebracht hat.

Stochern in der Antike, wühlen in alten Wunden.

Zeichnungen: ruppig, spontan, hingewirbelt, gerotzt. Eruptiv der Duktus dieser expressivenLinien, wie hingeschleudertes Ejakulat des Geistes. Da tobt die Hand eines Zeitgenossen übers Papier, arbeitet sich im 21. Jahrhundert an Themen ab, die immer noch gegenwärtig sind, die weder altern noch verjähren können. Und wie sich die Figurinen in den grafischen Arbeiten mit antiken Gewändern verkleiden dürfen, so nutzt Steffen Fischer das literarische Mythenmonster zur Blosslegung allgegenwärtiger, zutiefst dem Menschen eingepflanzter Triebe und Emotionen.

Wer ist Herakles und was zeichnet seine Taten aus? Man muss nicht zwingend Kenntnis davon haben, dass Herakles/Herkules durch die Vaterschaft des Zeus halbgöttischen Ursprungs, durch die Begegnung mit den fraulichen Sinnbildern
der Lust und der Tugend am Scheideweg, durch die Verrichtung von zwölf Arbeiten, dem Beischlafen von 50 Jungfrauen, dass er sich durch die Niederungen des Krieges, der Jagd, der Arbeit und der Irrtümer des Lebens schlägt, kämpft, wühlt und zu allerletzt von seiner Widersacherin, seiner Feindin Hera, Lohn und göttliche Weihe empfängt. Alles das muss man nicht wissen, um in den Zeichnungen etwas über unsere menschlichen, uns hetzenden, jenen oft dunklen und gefürchteten, uns antreibenden Kräfte zu erfahren.

Steffen Fischer nutzt seine zeichnerische Fähigkeit, die Begabung einer kräftigen Hand, um sich Gefühle und Taten zu vergegenwärtigen, für die man, im alltäglichen bürgerlichen Leben ausgelebt, Anfeindung, Beschimpfung, Vorwurf, wenn nicht gar Anklage zu erwarten hätte. Aber so erlaubt sich der Künstler ungestraft zu denken, zu zeichnen, was uns allen gemeinsam ist: Liebe, Güte, Glaube, Hass, Erbarmungslosigkeit, Geworfen- und Getriebensein, eben jene Gesamtheit verworrenen Emotionen, die unser animalisches Leben erst zum menschlichen Leben machen, es vielleicht sogar adeln?


Und welche Figur ist dafür stellvertretend besser geeignet das vor Augen, ins Denken zu bringen, als dieser brutale, harte, sinnliche, sich erbarmende, singende, lallende, omnipotente, kraftstrotzende und zum Ende doch durch List besiegte, sich selbst verbrennende Held.


Dieses, sich uns Heutigen, nun üblicherweise verschlossene Heldentum lebt der Künstler, wie schon erwähnt, auf dem DIN-genormten Papiergeviert aus. Sein, des Zeichners Kampf, besteht des weiteren auch darin, Weiss, das Licht leuchten zu lassen. Gerade die nicht behandelten, unberührt gelassenen, die jungfräulichen Partien der papiernen Arena steigert die Dramatik seiner Zeichnung, grafisch und somit auch inhaltlich.


Steffen Fischer schlägt einen weiten, mehr als dreitausend Jahre verbindenden Bogen zwischen der Welt, die scheinbar fern, versunken, alles erfunden hat was Mensch formt, die uns in den Mythen Gerüche von Schweiß, Blut und Gold beschreibt, denen wir trotz unserer Deos, Ganzkörperenthaarungen, täglichen Waschungen, geregelten Infastrukturen und gesetzlichen, manchmal entsetzlichen Regelwerken nicht entfliehen können.


Für mich ist der Künstler damit in der Zukunft angekommen.

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