Eröffnungsfotos

Laudatio von Heinz Weißflog/ Dresden


„Das Leben packt uns immer an“ (E.R.N.A.)


Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde des Alten Pfarrhofes Altenau, liebe Gäste, liebe Gastgeber E.R.N.A. und Paul Böckelmann!


Diese Ausstellung ist längst fällig und war seit 2016 geplant. Leider verstarb eine der beiden beteiligten Künstlerinnen, die Berliner Malerin und Grafikerin Ellen Fuhr, am 19. September 2017, viel zu früh - 59 jährig, an einer heimtückischen Krankheit. Unter dem beliebten Thema „Dialog“ treten beide noch einmal in ein Zwiegespräch und machen auf die vielen gemeinsamen, fruchtbaren Jahre und Stunden aufmerksam, besonders während ihres Studiums an der Abendschule und danach im Hochschulstudium der HfBK Dresden bei Prof. Gerhard Kettner. Ihre erste gemeinsame Ausstellung hatten beide 1984 in der Galerie Comenius Dresden zusammen mit der Grafikerin Andrea Türke. Beide, Ellen Fuhr und Elke Böckelmann alias E.R.N.A., waren verwandte Seelen, sie waren sich von Anfang an sympathisch, auch, weil sie die Grafik und das Zeichnen besonders interessierten. „Ihr freundlicher Charakter machte es mir leicht mit ihr zu arbeiten.“ schrieb mir Elke Böckelmann in Vorbereitung dieser Ausstellung. Im Studium hatten beide das gleiche Aktmodell, ähnliche Ansichten, Pläne und Ziele, gemeinsame Vorlieben, beide lernten dort auch ihre Lebensgefährten Günther und Paul kennen und hatten in der Folgezeit mit ihnen jeweils zwei Kinder. Kunstmachen und eine beglückende, harmonische und kreative Partnerschaft schlossen sich also, wie E.R.N.A. in einem Statement betont, nicht aus: „Kunst bedeutet nicht der Verzicht auf Partnerschaft und Kinder“. Nach 1984 trennten sich ihrer beider Wege: Elke Böckelmann ging nach Altenau in die Südbrandenburgische Provinz, wo sie mit Paul den Alten Pfarrhof übernahm und zum Kunstort und Refugium ausbaute. Ellen Fuhr entschied sich für Berlin, woher sie auch stammte. Damals schon faszinierte sie die Großstadt und ihr besonderes künstlerisches Fluidum. Sie fasste im Prenzlauer Berg, später in Pankow Fuß, wo eine beachtliche Zahl junger Künstler und Bohemiens ihre romantischen Träume von ungezügelter Freiheit, politischer Mündigkeit, Sehnsucht nach Ferne und Kreativität träumten. Später hatten beide eine gemeinsame Ausstellung in der Baumschulenweg Galerie. Es folgten Ausstellungsbeteiligungen in anderen Gruppen, aber keine weiteren Personalausstellungen. Trotzdem interessierten sich beide gegenseitig für die Ergebnisse ihrer Arbeit und kamen oft zu den Vernissagen, um das Neueste zu betrachten.


In einem Interview mit der freien Journalistin, Lyrikerin und Übersetzerin Urszula Usakowska-Wolff im Jahr 2015 berührt die Künstlerin ihre Anfänge. Ellen Fuhr berichtet darin gleich zu Beginn: „Ich habe seit allerfrühesten Kindheit gezeichnet. Ich glaube, da war eine gewisse Sprachlosigkeit als Kind oder eine gewisse Veranlagung, dass ich über Bilder mit der Umwelt kommuniziert habe. Natürlich habe ich auch gesprochen, aber bei den Bildern hatte ich das Gefühl, dass man mich versteht. Aus den Reaktionen der  Erwachsenen entnahm ich, dass ich mein Medium gefunden hatte.... Es war diese stille, zurückgezogene Kunst der Malerei allein im Atelier, die zu meinem Charakter am besten passte“. Ellen Fuhr verbrachte ihre Kindheit im Osten von Berlin. Sie entstammte einer Familie mit langer naturwissenschaftlicher Tradition. Ihr Großvater war der Nobelpreisträger Gustav Hertz, dessen Onkel Heinrich Hertz war, nach dem die Maßeinheit der elektromagnetischen Schwingung benannt wurde. Der Vater förderte ihre künstlerische Begabung und besuchte mit ihr Kunstkurse bei Jürgen Wittdorf und Dieter Goltzsche. Jürgen Wittdorf (1932-2018) war Buchillustrator und ist durch seine großformatigen Holz-und Linolschnitte bekannt geworden. Der Maler und Grafiker Dieter Goltzsche (geb. 1934 in Dresden), er war 1992 bis 2000 Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee, ist ein Meister des bildlichen Fabulierens, des gekonnten Weglassens und der fantasievollen Verdichtung.


Dresden


Ellen Fuhr absolvierte zunächst eine Ausbildung als Biologielaborantin in einer veterinärmedizischen Einrichtung in Dresden und studierte von 1978 bis 1983 Malerei und Grafik an der HfBK Dresden bei Prof. Gerhard Kettner. Gerhard Kettner war ein besonderer Mensch und Lehrer, der seine Studenten einfühlsam förderte und sie vor politischen Übergriffen schützte. Er fand für jeden von ihnen den rechten Rat und lenkte ihn behutsam zu sich selbst, forderte seine Stärken heraus. Dresden und Kettner erwiesen sich als prägend für Ellen Fuhr. Die schwer zerstörte Stadt war voller grauer Tristesse und Melancholie, die Menschen eher gedrückt und eingeschüchtert: „... eine untergegangene, versunkene Stadt, an deren einstigen Glanz und Prunk nur noch Reste und die geschwärzten Mauern der Schlossruine erinnerten. Sogar ein Teil der Kunstakademie lag vierzig Jahre später als Trümmerberg mit eingestürzten Gewölben, auf denen Birken wuchsen, und mein Atelier war das letzte links auf einem Gang, der blind und zugemauert endete....“. Die Ausbildung war handwerklich solide, in der Tradition dem deutschen Expressionismus, der „Brücke“ verpflichtet, später den „Jungen Wilden“ und von einer düsteren Intensität“, hieß es sinngemäß in einem Text zur Ausstellung „Märkische Wandlungen“ 1999.


Passion Großstadt Berlin


Das gesamte Werk von Ellen Fuhr ist eine liebevolle Hommage an ihre Geburtsstadt Berlin, wohin sie 1984 nach dem Studium zurückging, beglückt und tatendurstig, verliebt in seine Straßen und Plätze, die sie in Malerei und Grafik nach vielen endlosen, auch nächtlichen Streifzügen festhielt und mit eigenem Überschwang und Fantasie anfüllte. Vieles war authentisch geblieben und nicht totsaniert, nicht beschönigt und übertüncht. Der Prenzlauer Berg bot ein fruchtbares Terrain, hierher strömten Künstler und Dichter aus der ganzen Republik, hofften, in der Nähe des westlichen Sehnsuchtslandes, auf eine gute Zeit, auf Veränderung der Verhältnisse, auf eine elysische Zeit von Kunst und Gesellschaft, auf die Freiheit der Kunst. Viele Themen von Ellen Fuhrs Bildern sind Stadtblicke, tagsüber und nachts, düster-schwarze Brückenbögen, U-Bahnschächte, Häuserkuben, Industrie-und Wohnbauten und unbelebte Straßen, vor denen manchmal das Oval eines fragenden Gesichts erscheint und mit dem Betrachter in einen stillen Dialog tritt. Dunkelheiten tun sich auf, vor Leuchtreklamen, lange Schatten einer unendlichen Melancholie und Trauer, aber auch Ängste und Sehnsüchte. „wie schwarze Löcher, die aber keine Materie schlucken, sondern meine Gefühle“, sagte sie im Interview von 2015. „Diese Stadt war für mich immer etwas Symbolisches, eine Sprache, eine Metapher“ (ebenda), schlichtweg ein Kürzel für Toleranz und Freiheit. Berlin war vor der Wende ein letzter Rückzugsort für Romantik (nicht so sehr Dresden mit seiner langen Tradition), die die Künstler in ihrer Selbstbezogenheit liebten und pflegten. Ellen Fuhrs lyrisch-konstruktiver Expressionismus ist eine Spiegelung von Außen und Innen, von Stadtlandschaft und inneren Befindlichkeiten. Auf ihren Stadtbildern scheint man die Wucht und die Energie zu vernehmen, die aus den Beton-und Stahlkonstruktionen vor einem apokalyptischen Himmel herauf drönen, die geballte Kraft des Urbanen, Becketts „Moloch“ und Däublins „Berlin - Alexanderplatz“ in einem.


Nachwende in Berlin und auf Reisen


Der gesellschaftliche Umbruch 1989 brachte große Umstellungsschwierigkeiten auch für Ellen Fuhr, denn vordem hatte sie ihren Lebensunterhalt vorwiegend mit Grafik bestritten und sich auf dem Kunstmarkt der DDR etabliert. „Jetzt“, so schreibt sie 1995 in ihren persönlichen Aufzeichnungen, „galt es ein zweites Mal erwachsen zu werden“. Die Marktwirtschaft forderte neue Strategien. Und die vielen neuen Eindrücke erweiterten das Bewusstsein, inspirierten und forderten die Künstlerin heraus, sich ihnen zu stellen. Durch die neue Freiheit festigte sich ihr Selbstbewusstsein. Kunst strukturierte ihren Lebensgang, vertiefte ihre Sicht auf die im Wandel befindliche Landschaft und das sich verändernde Stadtbild. Reisen öffneten ihr den Horizont. Unglaublich war das Erlebnis von New York, der Donner aus Stahl und Beton, die tiefen Straßenschluchten, das pulsierende Leben der Hauptstadt der Welt. Rom, Wien, Paris, Venedig, Barcelona, Lissabon, Kopenhagen, Stockholm, St. Petersburg, Marokko, Spitzbergen und Curacao wurden bereist. Großformatige Stadtansichten auf Leinwand und Papier entstanden (besonders von New York). Der Einbruch einer intensiven Gefühlswelt in diese Bilder wird auch dem flüchtigsten Betrachter deutlich. Tiefe Fluchten, große, grafitschwarze, abgerundete, glitzernd-silberne, mit Stahlbau oder kühlem Grün modellierte Kuben, eine nach hinten gedehnte Zentralperspektive wirken wie ein Sog für den Blick. Geschwindigkeiten im Stadtraum, lebhafter Verkehr oder städtische Unrast werden durch eine heftige, geschwungene Lineatur sichtbar gemacht. Die Malerei wird grafisch vertieft und überlagert, zarte Silberstift-Ritzungen und Krakel (stilisierte Augen und Münder) wie flüchtige Kommentare über das Bild gelegt. Manchmal tauchen inmitten einer Architektur Katzengesichter oder die Schemen einer venezianischen Maske auf, malerisches Assessoirs, die etwas vom Stillleben in die Landschaft einbringen oder wie eine Allegorie Sinnzusammenhänge verdichten und gleichzeitig verfremden. Sie werden Metapher oder Sinnbild für etwas, das nicht näher benannt, ein Geheimnis bleibt.


Die Zeit nach der Jahrtausendwende


Nach dem Jahr 2000 konzentrierte sich Ellen Fuhr auf die Literatur und ihre Protagonisten in der Serie „Kultköpfe“. Ein Weg nach Innen begann, der Weg zu den Gesichtslandschaften, die hier an der zentralen Wand als Reihung von 20 Bildern (Malerei) plus 5 an der Treppe zu sehen sind: Frank Kafka, Vladimir Nabakov, Friedrich Nietzsche, Christa Wolf und viele andere wurden in den Fokus genommen, teils aus eigener Bekanntschaft (z. B. dem Familienkreis), teils auf Fotos basierend, in denen sie die Frage nach dem Wesen des Menschen zu beantworten versuchte. Gleichzeitige Lektüre vertiefte das Bild, das sie sich von ihnen machte. Zwischen 2010 und 2017 entstand eine weitere Porträtserie bekannter Revolutionäre und Querdenker, den „Weltverbesserern“, in der sie den Holzschnitt für sich entdeckte. Die letzten Arbeiten beschäftigen sich mit der Winterreise von Wilhelm Müller, den Liedern Franz Schuberts von Leben, Sterben und Tod, Dichtung und Ausgegrenztsein, Trauer und Melancholie. Dieses Projekt, von der Galerie Forum Amalienpark initiiert, die sie auf Anregung von Gerhard Wolf mitbegründete, war ein Höhepunkt ihres Schaffens. Auf die Frage, ob sie sich ein Leben ohne Malen vorstellen könnte, antwortete sie Urszula Usakowska-Wolff: „Es gibt ein Bild von einem meiner Lieblingsmaler, Oskar Manigk, worauf er geschrieben hat: „Kunst rettet uns vor dem Leben.“ Das ist wahr, denn beim Malen ist man bei sich und hat mit dem Rest der Welt nichts zu tun. Das ist sehr kontemplativ. Irgendwie ist das Malen eine Art Meditation.“


Dialog und Konstellationen - über E.R.N.A.


Elke Böckelmann mit dem selbstbewussten Pseudonym E.R.N.A. entstammt einer musischen Familie. Sie wurde 1954 in Lichtenstein geboren und wuchs in Dresden auf. Zunächst absolvierte sie eine Lehre als Kinderkrankenschwester und studierte von 1973-1975 an der Abendschule der HfBK Dresden, wo sie auch ein Direktstudium von 1979 bis 1985 bei Prof. Gerhard Kettner abschloss. Ihre Arbeiten (Malerei, Grafik, Plastik und Keramik, baugebundene Kunst) atmen einen surreal-expressiven Geist. Eine traumwandlerische Fantastik zwischen Ekstase und Feinfühligkeit wird handwerklich versiert umgesetzt. Die menschliche Figur steht dabei immer im Mittelpunkt, das Gesicht, der Kopf als emotionaler und geistiger Ausdruck humaner Befindlichkeiten. Gleich am Eingang zur Altenauer Galerie befinden sich zwei grafische Arbeiten von ihr und Ellen Fuhr, die Eröffnung eines künstlerischen Dialoges zwischen beiden im Rahmen einer Ausstellung in der Galerie Baumschulenweg 1988, von denen auch eine Edition aus Siebdrucken in der Vitrine zu sehen ist. Durch den Dialog können Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Argumenten zueinander finden, ihre Gedanken im Gespräch entwickeln, vertiefen oder eine neue Perspektive auf die Dinge entdecken. Es kommt, wie E.R.N.A. in einem Statement schreibt, darauf an, „die Erstarrung zu überwinden, sich selbst etwas einzugestehen oder dem Gegenüber eine Tür zu öffnen“. Das Ergebnis des Dialoges aber bleibt dabei offen. Es beginnt ein Kreislauf von Nachdenken und Abwägen: Probleme können so am effektivsten und humansten gelöst werden.


Ihre Serie zum „Dialog“ umfasst zwölf Mischtechniken auf Leinwand (eine Mischform aus Acryl, Graphit und Tusche) jeweils in sechs Bild-Paaren. Die weiße Leinwand bleibt dabei erhalten. Dadurch entsteht eine besondere Offenheit, ein malerisch-grafisches Provisorium. Es handelt sich dabei um fiktive Brustbilder, einander zugewandt und meist im Blickkontakt, gewissermaßen in einem gestisch-emotionalen Gespräch. Die Gesichter stehen unter Spannung. Wie Blitze umfahren sie Farbschlieren und eine fast grafische Lineatur, wie elektrisierende Einschläge, die durch das Bild fahren. Der Schleier (wie eine Aura), hinter dem die Gesichter agieren, steht für Abstand und Distanzierung, aber auch für eine fast sprachliche Kommunikation. Es entsteht ein Gesprächsrund. Das Gesicht wandelt seinen Ausdruck, Partien sind dabei fast unkenntlich gemacht. Die Fantasie des Betrachters ist gefragt. Und Empathie in die Gesprächssituation. Die Serie ist als Wandgestaltung konzipiert, 12 Bilder a 1 Meter mal 1 Meter, vielleicht für eine kommunale Einrichtung oder im öffentlichen Raum?


Ich danke Ihnen!