Ausstellungseröffnung TANJA POHL „Vom Umgang mit den Welten“. Laudatio Dr. Ingrid Koch. Dresden, den 13. 9. 2025

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, lieber Paul, liebe Elke, liebe Tanja Pohl,

















Sie  alle werden es schon bemerkt haben: hier in Altenau, im alten Pfarrhof, ist viel geschehen in letzter Zeit. Pläne zur Sanierung der angrenzenden Gebäude sind weitgehend umgesetzt. Vor allem die einstige Scheune zeigt sich als imposantes Gebäude mit viel Ausstellungsfläche, die zukünftig bildhauerischen Arbeiten Platz bieten soll. Wer genau hinschaut, wird auch eine Reihe bereits vorhandener entdecken. Gewissermaßen zur Einweihung aber bekommt eine Künstlerin zusätzlichen Platz für ihre Ausstellung. Tanja Pohl, die auch hier durchaus keine Unbekannte ist – mit einzelnen Arbeiten war sie vor Ort als Grafikerin schon sichtbar und auch in den alljährlichen Kalendern des ART AUE e.V. vertreten -, lädt uns nun ein „Vom Umgang mit den Welten“, wie er sich in ihrer Kunst widerspiegelt, zu erfahren. 

Ich deutete schon an, dass es eine große Ausstellung ist – ich denke, wohl zumindest eine der größten, die die Künstlerin bisher zeigen konnte. Für alle, denen das Werk Tanja Pohls nicht so geläufig ist, ergibt sich so ein guter Überblick über ihr Schaffen. Zu sehen sind Arbeiten aus den Jahren 2011 bis 2025 – also nahezu anderthalb Jahrzehnten. Sichtbar werden dabei auch Entwicklungen, ja Veränderungen in Schwerpunktsetzungen, was die Nutzung künstlerischer Medien betrifft. In jüngerer Zeit hat wohl durchaus die Malerei ein stärkeres Gewicht erhalten. Im grafischen Bereich – das hat manchmal auch mit vorhandenen Möglichkeiten zu tun – kommt Experimentelles wie Materialdrucke oder grafische Arbeiten, in denen sich verschiedene Techniken von Zeichnung und Collage mit Tiefdruckelementen verbinden, zur „reinen“ Radierung, mit der Tanja Pohl zunächst vor allem viel Aufmerksamkeit, einschließlich einiger Preise, gewann, hinzu. Ein Höhepunkt in diesem Zusammenhang waren jüngst drei, jeweils etwa drei mal vier Meter große, unseren gefährdeten Lebensperspektiven gewidmete „Felder“, die sie anlässlich des ihr verliehenen Thüringischen Landesstipendiums für Bildende Kunst realisierte und in der Erfurter Kunsthalle vorstellte. 

  

Liebe Freunde,


wer von Ihnen schon einen Rundgang durch die Ausstellung gemacht hat, wird wohl bereits wahrgenommen haben, dass sich mit Tanja Pohl eine Künstlerin vorstellt, deren Bilder man nicht so schnell vergisst. Sie ist ganz gewiss eine der bemerkenswertesten jüngeren Absolventen der Hochschule für Bildende Künste Dresden, wo sie von 2005 bis 2013 Studium und Meisterschülerzeit absolvierte. Dazu muss man noch sagen, dass Tanja Pohl schon seit frühester Jugend intensiv an ihrer künstlerischen Ausbildung gearbeitet hat. Besondere Spuren hinterlassen in ihrer Entwicklung hat wohl die exzellent- eigenwillige Zeichnerin Elke Hopfe, bis 2010 Professorin an der HfBK Dresden und hier in Altenau schon verschiedentlich mit Arbeiten präsent. Über sie vermittelte sich seit den frühen 1990er Jahren eine zeichnerische und grafische Tradition, die von Hegenbarth, Dix und Hans Theo Richter bis zu Gerhard Kettner, Elke Hopfes unmittelbarem Lehrer und dem vieler anderer – auch Böckelmanns –, reicht. Diese Traditionslinie steht für eine besondere Qualität, die die Künstlerin wiederum ihren Studenten vermittelte und die nun leider abzureißen droht, weil in den derzeit dominierenden Lehrauffassungen – entgegen ihrer Bedeutung für das bildnerische Schaffen - die Zeichnung keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. 


Tanja Pohl aber gehört zu jenen nicht so zahlreichen Künstlern, die auch dank dieser Ausbildung sowie ihrer schöpferischen Begabung mittlerweile eine eigene unverwechselbare Handschrift ausgeprägt haben, mit der sie ohne Vordergründigkeit auf sie bedrängende Fragen, Fragen unserer Zeit, reagieren. Unübersehbar ist, dass die Künstlerin auf die eine oder andere Weise, mitunter auch mit einer gewissen Faszination, oft aber mit Erschrecken, über das Verhältnis von Mensch – Natur – Technik in ihren Arbeiten reflektiert. Man schaue sich nur das große Bild „Erbmasse“ (2014) an! Ansichtig wird man einer unbestimmten, zerstörten Landschaft, die an einen gewaltigen Tagebau erinnert und von deren Boden ein unbestimmtes Glühen heraufdrängt, das durchaus Gefahr verheißen kann.

 

Unmittelbare Anstöße für eine solche thematische Orientierung gingen sicher vor Jahren von den erlebten Umbrüchen in ihrer engeren Heimat, dem Vogtland aus, wo wie auch anderswo im Osten die einst vorhandene Industrie sich in Brachen wandelte, die sich mit den Jahren teils die Natur zurückholte. Die Mitte der 1980er Jahre Geborene hat diese Umbrüche als Jugendliche unmittelbar erlebt. Zugleich erlebte sie aber auch  - wie wir alle  – die andauernden ungeheuren technischen Wandlungen, die bis ins persönliche Leben hineinreichen und durchaus verschiedene – positive, wie negative - Seiten offenbaren und unter anderem auch zutiefst die Gesellschaft, ihre Beziehungsgefüge, verändern. Aber nicht nur das: Mittlerweile scheint es auch leichter geworden, Kriege vom Zaun zu brechen und zu eskalieren. Produktives und Destruktives haben neue Dimensionen erreicht, und es bleibt die Frage: was wird die Zukunft bestimmen, wird die Vernunft wieder die Oberhand gewinnen? Tanja Pohl reflektiert in ihren Bildern auf ihre Weise, ohne Vordergründigkeit, diese Frage …. Gefährdung wird sichtbar,  Zwiespältigkeit … Man betrachte nur manche der Köpfe respektive Kopflandschaften …., die nicht weniger sperrig sind als manche der Industrielandschaften, wie sie einige ihrer Grafiken zeigen – gleich ob sie eher Brachen meinen oder große Maschinen bzw. andere Anlagen, etwa in einem Hafen.         

         

Liebe Freunde,


Tanja Pohls Kunst erhält ihre Wirkung nicht zuletzt aus ihrer besonderen Formensprache, die sich zunächst über die Grafik und damit auch von der Zeichnung kommend, entwickelte. Ausgehend vom Letzteren lässt sich die Orientierung am Gegenstand und an der Figur nachvollziehen. Während der Arbeit am Tiefdruck oder dem Bild entwickelt sich dann oft ein Prozess der Reduktion und der Deformation. Konstruktiv erscheinende Elemente und Linien treten hervor, geben technoid wirkenden Formen Raum – mal mehr, mal weniger. 

Signifikant in diesem Sinne zeigt sich etwa die Gruppe „Kreuzabnahme“ und „Auferstehung“ von 2013, während die jüngere „Dornenkrone“ (2023) mit ihrem zeichnerischen Duktus schon eher ins Informelle tendiert, womit auch die Wandelbarkeit der künstlerischen Handschrift deutlich wird, die nicht zuletzt mit der Einbeziehung weiterer Materialien und Druckverfahren zusammenhängt. 


Wenn es um Wandlungen geht, muss zudem sicher darauf verwiesen werden, dass die Künstlerin sich seit etwa einem Jahrzehnt gleichermaßen der Malerei widmet, in jüngerer Zeit, wie es scheint, durchaus verstärkt. Formal setzen sich grundlegende Aspekte des Herangehens fort. Es gibt auch da zahlreiche, flächig angelegte Bilder mit technoid wirkenden Formen, etwa bei einem „Halbmensch“ oder einem „Menschmaschine“ genannten Bild. Was auffällt, dass das aus der Grafik vertraute Schwarz stark zum Einsatz kommt. Es gibt der Malerei von Tanja Pohl eine besondere Note, bringt es doch die übrigen Farben, so das häufige Gelb, ebenso das Rot und Blau oder Grün teils dramatisch zum Leuchten. Das gilt gerade auch für die Bildgruppe „Verschnürt“ bzw. das Bild „Anklage“ (alles 2025), die durchaus einen neuen Akzent zu setzen scheinen – formal, aber auch inhaltlich. Das malerische Herangehen wirkt organischer, wenngleich auch hier Reduktion der Figur und deformative Aspekte formal und inhaltlich eine Rolle spielen. Letztere werden nicht zuletzt durch schwarze Linien unterstrichen – die Verschnürungen.    


Angeklagt und „verschnürt“ ist ganz offensichtlich ein, respektive d e r  weibliche Körper, womit ein heute wieder mehr und mehr relevantes Thema aufgegriffen wird, was sich wiederum ins thematische Gesamtgefüge von Tanja Pohls Schaffen einordnet, das ja die Deformationen und Bedrängnisse des Menschen mit im Auge hat. Weibliche Existenz scheint von alten/neuen Schwierigkeiten betroffen. Emanzipation wird vom Alltag aufgefressen. Konservative und reaktionäre Frauen- und Familienbilder sind keineswegs ausgestorben. Und gesellschaftliche Gegebenheiten fördern Frauenfeindlichkeit und Sexismus. Und was weibliche Existenzen in Wissenschaft und Kunst betrifft, so ist dies nach wie vor (oder sollte ich bezogen auf meine Ost-Herkunft sagen: wieder) für die Mehrheit ein schwieriges Thema, was Anerkennung und materielle Lage betrifft. 


Wenn man heute in die Geschichte schaut, so scheint es, es habe kaum Wissenschaftlerinnen noch Künstlerinnen gegeben. So ist es aber keineswegs. Bis auf Ausnahmen sind die meisten nur vergessen – auch dank dessen, dass die Grundmechanismen der Gesellschaft, die Herrschaftsverhältnisse, männlich geprägt waren, es lange - in Deutschland bis 1918 - zahlreiche Verbote für Frauen gab, sie etwa nicht an Universitäten studieren durften (eingefügt sei: andere Ver- bzw. Gebote, die die männliche Dominanz förderten, existierten in der alten Bundesrepublik bekanntermaßen teils noch bis in die 1970er Jahre). Und nicht zuletzt ist die Geschichtsschreibung über weite Strecken männlich geprägt. Das sind nur einige Punkte, die mir zum Thema „verschnürt“ einfallen. Im Übrigen: Betrachtet man das Bild „Anklage“, so zeigen sich auch die Ankläger deformiert – will sagen: Geschlechterungleichheit im gesellschaftlichen Gefüge schadet auch den Männern.               

Liebe Freunde, 

die Ausstellung „Vom Umgang mit den Welten“ bringt die Begegnung mit einem umfangreichen Ausschnitt aus dem bisherigen Schaffen Tanja Pohls. Sie geht seit Studienabschluss einen Weg, der von intensiver künstlerischer Arbeit verbunden mit immer neuen experimentellen und formalen Einfällen gekennzeichnet ist. Niederschlag findet dies in eindrucksvollen, abstrahierten Grafiken und Bildern, die mal landschaftlich geprägt sind, ebenso auch Kopf- und Figurendarstellungen umfassen. Bei all ihren künstlerischen Reflektionen geht es Tanja Pohl um den Menschen, um Bedingungen und Möglichkeiten seines Daseins in einer von ihm auch gefährdeten Welt, um deren lebenswerte Gestaltung er kämpfen muss.    

„Kreativität“ respektive „Die Künste“ – so der Titel eines der gezeigten Bilder, in dessen Zentrum ein aufmerksames Auge platziert ist – kann dabei helfen, weil sie anregen kann, über lebenswerte Zustände nachzudenken.


Danke!