Paul Böckelmann

 
 

Ein Fotoprojekt in Zusammenarbeit mit Detlef Hecht, Dresden und Andreas Hanisch, Dresden

 

Dessau heimstattheimat

Dessau - Ein Regentag im Mai


Aus einem wie auch immer geartetem Gefühl, den heimatlichen Wurzeln nachzuspüren, verwirklichten wir, Andreas Hanisch, Detlef Hecht und ich am letzten Sonntag und Montag im Mai 2010 unsere Idee, fotografierend die von uns seit langem verlassene Stadt zu erkunden. Wie beschlossen, trafen wir uns an den zwei Tagen nur zum Essen oder zu einem Kaffee. Es wurden keine Fotos gezeigt und jeder von uns ging seinen Wegen nach.


Ich fuhr am Sonntag den 30. Mai gegen sechs Uhr mit dem Auto in Altenau los. Gegen halb acht traf ich in Dessau-Süd ein und parkte das Auto an der Wiener Straße, Ecke Klagenfurter Straße. Es regnete. Das erste Foto, IMG_1708.JPG, bannte das Abbild einer sterbenden Stadt. Aber das war mir in diesem Moment noch nicht bewußt. Unterm Regenschirm lief ich die Wege meiner Kindheit und Jugendzeit ab. Viel Grün hat von den Straßen und vom Spielplatz des Östereichviertels Besitz ergriffen. Seit dem Wegzug der Bewohner scheinen ganze Straßenzüge hinter einem Blätterwall Versteck zu suchen. Und doch, es gibt auch hier sanierte Häuser. Gedämmt und wenn möglich farblich aufgehübscht. Auffällig die autofreien Straßen. Es ist Sonntag. Das kann eine der Ursachen unbelebter Straßen sein. Vor den bewohnten Häusern parkt eine überschaubare Anzahl. Später stellt sich heraus, daß die Stadt mit Garagenkomplexen, ein Termini untergegangener Ostrepublik, übersät ist.


Noch bin ich ahnungslos.


Natürlich, die Natur wächst mit bewährter Kraft in und um Dessau weiter. Das Luisium trägt als Teil des Weltkulturerbes die Botschaft klassiszistischer Landesgestaltung in die Welt. Die Auelandschaft der Mulde, von der Chemiekloake befreit, begrenzt bebautes Stadtland im Osten der Stadt und lädt zu entspanntem Spazieren ein. Haideburg, Törten, Ziebig, die Gropiussiedlung in D-Süd zeigen sich in vertrauter Wohnbehäbigkeit. Individualistisch, selbstbewußt, aufs Ich bezogen und familienautark. Dem BAUHAUS wurde durch Restaurierung gläsern-diamantenes Funkeln zurückgegeben. Der Stadt sind sichtbar ererbte Schönheiten geblieben.


In den letzten 20 Jahren sind neue Straßen und Gewerbegebiete entstanden, scheinbarer Atem von Aufschwung, Wohlstand, Zukunftshoffnung. Jedoch lassen einige wenige Zahlen aus Statistik und Prognose Zweifel an eine immer bessere Stadt aufkommen: 1988 - 103.867; 2006 - 77.394; dann Stadtzusammenschluß Dessau-Rosslau 2008 - 88.693; Prognose 2010 - etwas über 80.000; 2020 - Bevölkerung irgendwo zwischen 50.000 und 60.000 Einwohner!


Mir ist als bildender Künstler noch kein derart lebendig realisiertes Diagramm, wie auf meinen Fotos unter die Augen gekommen. Dramatisch spiegeln sich diese Zahlen und Fakten in den Abbildern wieder. Und da wir als Menschen dazu neigen, unseren Wurzeln, sprich Heimat, goldenen Glanz in der Erinnerung zu verleihen, verstehe ich diese Arbeit auch nur als Zwischenhalt zur Hoffnung hin, daß uns die Zukunft doch eine lebens- und liebenswertere Heimatstadt bereitet, als es jetzt den Anschein hat.


Paul Böckelmann im Juli 2010

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